Harry Graham: A Plea for Ponto[Sir Frederick Banbury moved in the House of Commons:— »That in the opinion of this House no operation for the purpose of vivisection should be performed upon dogs.«]When you're studying the habits
Of the germ of German measles,
When you're searching out a cure for indigestion,
You may practise upon rabbits,
Upon guinea-pigs, or weasels,
If you think that they throw light upon the question;
You may note how bad the bite is
Of the microbe of bronchitis,
By performing operations upon frogs,
But I've yet to hear the mention
Of a surgical invention
That can justify experiments on dogs.
I would sooner people perished
Of lumbago or swine-fever
(Or, at any rate, I'd rather they should chance it!)
Than that any hound I cherished
From a »pom« to a retriever,
Should be subject to the vivisector's lancet.
I know nought of theoretics,
But in spite of anæsthetics
—Ether, chloroform or other soothing drug—
(Though perhaps I argue wrongly)
I should disapprove most strongly,
If I found a person puncturing my pug!
If we wish to make a bee-line
For the chicken-pox bacillus,
From the hen-house there is nothing to debar us;
We may learn from creatures feline
What the causes are that kill us
When we suffer from infirmities catarrhous!
But when dogs' insides we study,
Then our hands and hearts grow bloody,
And we needn't be a crank or partisan
To display a strong objection
To the so-called vivisection
Of that animal we style the Friend of Man!
Sonntag, 18. Juni 2017
Harry Graham (34)
Das Sonntagsgedicht über einen uns bereits flüchtig bekannten Hund aus »The Motley Muse«:
Donnerstag, 15. Juni 2017
Notizen zur Poetik (2)
Noch mehr Notizen zu (meist absichtlich komischen) Gedichten, Fragmente, aufgegebene Aufsätze, Listen, poetologische Gedichte. Weiter geht's!
//
Dass immer noch kein Rühmkorf-Auswahlband mit dem unheimlich eingängigen Titel »Wahrheit – Wahnsinn – Vanitas« (Vers aus dem Gedicht »Kleines Totentänzchen«) existiert, muss empören.
//
Erich Mühsam reimte Europa auf faux pas.
//
So erfreulich poetische »Smash-Hits« bzw. »Lyrik-Hämmer der Saison« (Robert Gernhardt) für Verlag und Publikum auch sein mögen, dem Poeten können sie zum Nachteil gereichen; dann nämlich, wenn er den erfolgreichen Versen nichts Gleichrangiges hinterherschicken kann und in der Folge auf das eine Gedicht reduziert wird.
Ein veritabler Lyrik-Hit jedenfalls gelang dem amerikanischen Schriftsteller Gelett Burgess, der zu Beginn seiner Karriere im Jahre 1895 die Zeitschrift The Lark ins Leben rief, die immerhin 25 Ausgaben lang hielt. In der ersten Nummer erschien sein Vierzeiler »The Purple Cow«, dem er den hübschen ausführlicheren Titel »The Purple Cow's Projected Feast: / Reflections on a Mythic Beast, / Who's quite Remarkable at least« gab. Das einleuchtende Gedichtleuchtet lautet folgendermaßen:
Wem spricht dieser Paarhuferskeptizismus nicht aus dem Herzen? Das Gedicht erfreute sich entsprechend rasch großer Beliebtheit und wurde in zeitgenössische und spätere Anthologien (etwa in The Faber Book of Nonsense Verse von 1986) aufgenommen, doch alas!, dem Dichter fielen in den folgenden Jahren keine Zeilen ein, die »The Purple Cow« in Sachen Eingängigkeit übertreffen konnten. Das führte zu der etwas seltsamen Entscheidung von Burgess, die Merkverse nicht in seine erste Sammlung A gage of youth. Lyrics from The Lark and other poems (1901) aufzunehmen. Viel wichtiger ist aber seine lyrische Reaktion auf die anhaltende Popularität des Vierzeilers. In der vorletzten The Lark-Ausgabe (1897) kokettierte er:
Ich kann zwar die gewiss interessante Frage, ob sich die Farbe der Milka-Kuh dem Gedicht von Gelett Burgess verdankt, nicht beantworten, möchte aber noch knapp und verkürzt auf die Wirkungsgeschichte des Vierzeilers hinweisen: Carolyn Wells nämlich, die ebenfalls für The Lark schrieb und u. a. als Autorin und Herausgeberin von komischer Lyrik fungierte, konnte in ihrer Anthologie Such Nonsense! (1918) auf die Popularität des Gedichts zählen, also veröffentlichte sie nicht weniger als achtzehn Parodien der »Purple Cow« im Stile der großen englischsprachigen Dichter. Ob sie die Tonfälle von Milton, Shelley, Wordsworth usw. wirklich traf, vermag ich nicht zu beurteilen. Weil aber Edgar Allan Poes »The Raven« bekannt sein dürfte, sei hier die titellose Wiederkäuer-Version zitiert:
Zwei unsinnige, aber wohlklingende Zeilen:
Der Uzi-Verein
lud Luzifer ein.
//
Der Nationalsozialist Hanns Johst (1890-1978) amtierte als Präsident der Reichsschrifttumskammer und wurde als Dichter bekannt für sein von der Nazi-Presse begeistert aufgenommenes Drama Schlageter. Seine Karriere endete 1945 verdientermaßen abrupt, Wikipedia gibt Auskunft über seinen weiteren Werdegang: »In der Bundesrepublik konnte Johst schriftstellerisch nicht mehr Fuß fassen, schrieb aber seit 1952 unter dem Pseudonym ›Odemar Oderich‹ Gedichte für die Edeka-Kundenzeitschrift Die kluge Hausfrau.«
//
Die Reimschemata der einzelnen Strophen in Rühmkorfs Gedicht »Auf Sommers Grill« wirken wie zum Teil umgedrehtes Grillgut: abxb cddc effe ghhg ijxi. (Ist das schon Synästhesie?)
//
Zwar fehlt mir ein Faible für ländliche Gotteshäuser, und Außentemperaturen über 10° sind mir grundsätzlich verhasst, doch das folgende Gedicht Detlev von Liliencrons übt mit seiner letzten Strophe einen unerklärlichen Reiz auf mich aus:
Noch mehr Poetry-Slam-Reime:
Mit Augenringen / von (oder zu) Tauben singen
Kattegatt / hatte satt
Boßeln / mit Friedrich dem Großen
Staubschicht / glaub's nicht
Anschein / pansch Wein
Raubzug / Ausdruck
Vielfraß / Spielspaß
Sichtschutz / Nichtsnutz
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Dass immer noch kein Rühmkorf-Auswahlband mit dem unheimlich eingängigen Titel »Wahrheit – Wahnsinn – Vanitas« (Vers aus dem Gedicht »Kleines Totentänzchen«) existiert, muss empören.
//
Erich Mühsam reimte Europa auf faux pas.
//
So erfreulich poetische »Smash-Hits« bzw. »Lyrik-Hämmer der Saison« (Robert Gernhardt) für Verlag und Publikum auch sein mögen, dem Poeten können sie zum Nachteil gereichen; dann nämlich, wenn er den erfolgreichen Versen nichts Gleichrangiges hinterherschicken kann und in der Folge auf das eine Gedicht reduziert wird.
Ein veritabler Lyrik-Hit jedenfalls gelang dem amerikanischen Schriftsteller Gelett Burgess, der zu Beginn seiner Karriere im Jahre 1895 die Zeitschrift The Lark ins Leben rief, die immerhin 25 Ausgaben lang hielt. In der ersten Nummer erschien sein Vierzeiler »The Purple Cow«, dem er den hübschen ausführlicheren Titel »The Purple Cow's Projected Feast: / Reflections on a Mythic Beast, / Who's quite Remarkable at least« gab. Das einleuchtende Gedicht
The Purple Cow
I never saw a purple cow,
I never hope to see one;
But I can tell you, anyhow,
I'd rather see than be one.
Wem spricht dieser Paarhuferskeptizismus nicht aus dem Herzen? Das Gedicht erfreute sich entsprechend rasch großer Beliebtheit und wurde in zeitgenössische und spätere Anthologien (etwa in The Faber Book of Nonsense Verse von 1986) aufgenommen, doch alas!, dem Dichter fielen in den folgenden Jahren keine Zeilen ein, die »The Purple Cow« in Sachen Eingängigkeit übertreffen konnten. Das führte zu der etwas seltsamen Entscheidung von Burgess, die Merkverse nicht in seine erste Sammlung A gage of youth. Lyrics from The Lark and other poems (1901) aufzunehmen. Viel wichtiger ist aber seine lyrische Reaktion auf die anhaltende Popularität des Vierzeilers. In der vorletzten The Lark-Ausgabe (1897) kokettierte er:
Confession
Ah, yes, I wrote the »Purple Cow« —
I'm sorry, now, I wrote it;
But I can tell you anyhow
I'll kill you if you quote it.
Ich kann zwar die gewiss interessante Frage, ob sich die Farbe der Milka-Kuh dem Gedicht von Gelett Burgess verdankt, nicht beantworten, möchte aber noch knapp und verkürzt auf die Wirkungsgeschichte des Vierzeilers hinweisen: Carolyn Wells nämlich, die ebenfalls für The Lark schrieb und u. a. als Autorin und Herausgeberin von komischer Lyrik fungierte, konnte in ihrer Anthologie Such Nonsense! (1918) auf die Popularität des Gedichts zählen, also veröffentlichte sie nicht weniger als achtzehn Parodien der »Purple Cow« im Stile der großen englischsprachigen Dichter. Ob sie die Tonfälle von Milton, Shelley, Wordsworth usw. wirklich traf, vermag ich nicht zu beurteilen. Weil aber Edgar Allan Poes »The Raven« bekannt sein dürfte, sei hier die titellose Wiederkäuer-Version zitiert:
Open then I flung a shutter,//
And, with many a flirt and flutter,
In there stepped a Purple Cow which gayly tripped around my floor.
Not the least obeisance made she,
Not a moment stopped or stayed she,
But with mien of chorus lady perched herself above my door.
On a dusty bust of Dante perched and sat above my door.
And that Purple Cow unflitting
Still is sitting – still is sitting
On that dusty bust of Dante just above my chamber door,
And her horns have all the seeming
Of a demon's that is screaming,
And the arc-light o'er her streaming
Casts her shadow on the floor.
And my soul from out that pool of Purple shadow on the floor,
Shall be lifted Nevermore!
Zwei unsinnige, aber wohlklingende Zeilen:
Der Uzi-Verein
lud Luzifer ein.
//
Der Nationalsozialist Hanns Johst (1890-1978) amtierte als Präsident der Reichsschrifttumskammer und wurde als Dichter bekannt für sein von der Nazi-Presse begeistert aufgenommenes Drama Schlageter. Seine Karriere endete 1945 verdientermaßen abrupt, Wikipedia gibt Auskunft über seinen weiteren Werdegang: »In der Bundesrepublik konnte Johst schriftstellerisch nicht mehr Fuß fassen, schrieb aber seit 1952 unter dem Pseudonym ›Odemar Oderich‹ Gedichte für die Edeka-Kundenzeitschrift Die kluge Hausfrau.«
//
Die Reimschemata der einzelnen Strophen in Rühmkorfs Gedicht »Auf Sommers Grill« wirken wie zum Teil umgedrehtes Grillgut: abxb cddc effe ghhg ijxi. (Ist das schon Synästhesie?)
//
Zwar fehlt mir ein Faible für ländliche Gotteshäuser, und Außentemperaturen über 10° sind mir grundsätzlich verhasst, doch das folgende Gedicht Detlev von Liliencrons übt mit seiner letzten Strophe einen unerklärlichen Reiz auf mich aus:
Dorfkirche im Sommer//
Schläfrig singt der Küster vor,
Schläfrig singt auch die Gemeinde,
Auf der Kanzel der Pastor
Betet still für seine Feinde.
Dann die Predigt, wunderbar,
Eine Predigt ohne Gleichen.
Die Baronin weint sogar
Im Gestühl, dem wappenreichen.
Amen, Segen, Thüren weit,
Orgelton und letzter Psalter.
Durch die Sommerherrlichkeit
Schwirren Schwalben, flattern Falter.
Noch mehr Poetry-Slam-Reime:
Mit Augenringen / von (oder zu) Tauben singen
Kattegatt / hatte satt
Boßeln / mit Friedrich dem Großen
Staubschicht / glaub's nicht
Anschein / pansch Wein
Raubzug / Ausdruck
Vielfraß / Spielspaß
Sichtschutz / Nichtsnutz
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Sonntag, 11. Juni 2017
Harry Graham (33)
Aus aktuellem Anlass ein zugegebenermaßen nicht allzu aktuelles Gedicht: Einige erläuternde Strophen zu Großbritannien aus »Baby's Baedeker« (1902):
Harry Graham: Great Britain
The British are a chilly race.The Englishman is thin and tall;He screws an eyeglass in his face,And talks with a reluctant drawl.›Good Gwacious! This is doosid slow!By Jove! Haw demmy! Don't-cher-know!‹The Englishwoman ev'rywhereA meed of admiration wins;She has a crown of silken hair,And quite the loveliest of skins.(Go forth and seek an English maid,Your trouble will be well repaid.)Where Britain's banner is unfurledThere's room for nothing else beside,She owns one-quarter of the world,And still she is not satisfied.The Briton thinks himself, by birth,To be the lord of all the earth.Some call his manners wanting, orHis sense of humour poor, and yetWhatever he is striving forHe as a rule contrives to get;His methods may be much to blame,But he arrives there just the same.MORALIf you can get your wish, you bet it
Doesn't much matter how you get it!
Dienstag, 6. Juni 2017
Notizen zur Poetik (1)
Notizen zu (meist absichtlich komischen) Gedichten, Fragmente, aufgegebene Aufsätze, Listen, poetologische Gedichte. Los geht's!
//
In F. W. Bernsteins neuem Band »Frische Gedichte« sind auf Seite 98 folgende Verse zu lesen: »Er wacht auf, und was ist er? / Professor. Doch Goethe: Minister!« Wie bemerkenswert ist das? Ein bisschen schon. Wer nämlich gespaltenen Reimen in der komischen deutschsprachigen Lyrik nachspüren möchte, wird insgesamt nicht vielen Reimpaaren begegnen, dafür einem immer wieder, und zwar eben: »ist er / Minister«. Allein in Bernsteins Sammlung »Die Gedichte« von 2003 ist es gleich zweifach anzutreffen: »Der Vierte – Obacht, Herr Minister! / Direkt vor Ihnen! Ganz vorn! Da ist er!« sowie etwas versteckter: »Senator Radunski, der Doppelminister, / ein zwiefaches Verhängnis ist er.«
Erich Mühsam benutzte das Reimpaar doppelt, und zwar in den Varianten »ist er / Wehrminister« und »Minister / ist er«; Ringelnatz einmal (»Sehr ernste Vize, seht: da ist er! / Das ist der Unterrichtsminister«), Eugen Roth (»Jetzt endlich, an der Reihe ist er – / Da heißts: ›Der Herr muss zum Minister!‹«) und Ror Wolf dito (»Etwa beispielsweise der Minister, / der Justizminister, na, wo ist er?«); und bei Kurt Tucholsky finden sich gar drei Beispiele (die der geneigte Leser sich selbst zusammensuchen darf).
Warum? Wozu? Was finden die Dichter an diesem Reimpaar? Ist das alles nur ein Ausweichmanöver angesichts der Tatsache, dass auf Kanzler nichts reimt, dass sich auf die auf der letzten Silbe betonte Kanzlerin wenig mehr als Gewinn oder ist in reimt und dass sich Präsidenten nur unrein beschimpfen bzw. dann aber auch immerhin schänden lassen? Oder reizt sie das vorsichtige Infragestellen von Autorität, das bei »Ist er / Minister« am Zeilenende ohnehin mitschwingt und manchmal, wie von Walter Mehring, auch explizit formuliert wird: »Und kann er nichts, dann ist er / Zum mindesten Minister«?
//
Gutes Zitat von Peter Rühmkorf (aus »Einfallskunde«): »Die gähnende Leere in manchen modernen Gedichten – zumal der neuen Zimperlichkeit. Lyriker, die einfach nicht kapieren wollen, dass auf so eng begrenztem Raum an jeder Stelle was los sein muss.«
//
Der schönste, nein: der einzige schöne rührende Reim gelang gewiss der amerikanischen Band The Magnetic Fields in ihrem Song »The Death of Ferdinand de Saussure«:
Literaturkritik
Manchmal weiß der Mensch noch nicht von
Dummheit, Elend, Not und Leid.
Doch dann liest er ein Gedicht von
Erich Fried. Und weiß Bescheid.
//
Ein trochäischer Satz findet sich im Wikipedia-Artikel zum Europäischen Aal: »Aale schlüpfen im Atlantik, in der Saragossasee (in der Nähe der Bahamas).« Bzw.:
Poetry-Slam-Reime:
Schau mal: / Blauwal!
wohlfeil / Lo-fi
Leitstern / streit gern
versehentlich / auf Zehen schlich
Schlachtgewimmel / lacht der Himmel
Fafnir / Schaffner
Eiklar / Fighter
Allahu Akbar / Nachbar
Weiberheld / Cyberwelt
Hinterkaifeck / Scheißdreck
//
Ich erstand auf einem Bücherflohmarkt vor mehreren Jahren aus Versehen für einen Euro das Buch »Nachts unter Sternen« (1962), das nachgelassene Texte von Ernst Emanuel Krauss versammelt (über den Wikipedia weiß, dass seine Sprüche »1935 u. a. in den Arbeitszimmern von Adolf Hitler und seinem Stellvertreter« hingen). Die Gedichte und Aphorismen sind erwartbar öde (»O goldnes Dämmerblinken / hier unter meinem Baum!«), und so haben mich nur zwei Namen bei der Lektüre wachhalten können: Krauss schrieb unter dem passenden Pseudonym Georg Stammler, das Buch wurde herausgegeben von der Wilhelm Kotzde-Kottenrodt Gemeinde (nur echt mit einem Bindestrich). Na ja, für eine Kaufempfehlung reicht das nicht.
//
3 Fremdwortreime von Kurt Tucholsky:
kosten / Boston
Hotels / health
Herrentoiletten / Manhattan
//
In F. W. Bernsteins neuem Band »Frische Gedichte« sind auf Seite 98 folgende Verse zu lesen: »Er wacht auf, und was ist er? / Professor. Doch Goethe: Minister!« Wie bemerkenswert ist das? Ein bisschen schon. Wer nämlich gespaltenen Reimen in der komischen deutschsprachigen Lyrik nachspüren möchte, wird insgesamt nicht vielen Reimpaaren begegnen, dafür einem immer wieder, und zwar eben: »ist er / Minister«. Allein in Bernsteins Sammlung »Die Gedichte« von 2003 ist es gleich zweifach anzutreffen: »Der Vierte – Obacht, Herr Minister! / Direkt vor Ihnen! Ganz vorn! Da ist er!« sowie etwas versteckter: »Senator Radunski, der Doppelminister, / ein zwiefaches Verhängnis ist er.«
Erich Mühsam benutzte das Reimpaar doppelt, und zwar in den Varianten »ist er / Wehrminister« und »Minister / ist er«; Ringelnatz einmal (»Sehr ernste Vize, seht: da ist er! / Das ist der Unterrichtsminister«), Eugen Roth (»Jetzt endlich, an der Reihe ist er – / Da heißts: ›Der Herr muss zum Minister!‹«) und Ror Wolf dito (»Etwa beispielsweise der Minister, / der Justizminister, na, wo ist er?«); und bei Kurt Tucholsky finden sich gar drei Beispiele (die der geneigte Leser sich selbst zusammensuchen darf).
Warum? Wozu? Was finden die Dichter an diesem Reimpaar? Ist das alles nur ein Ausweichmanöver angesichts der Tatsache, dass auf Kanzler nichts reimt, dass sich auf die auf der letzten Silbe betonte Kanzlerin wenig mehr als Gewinn oder ist in reimt und dass sich Präsidenten nur unrein beschimpfen bzw. dann aber auch immerhin schänden lassen? Oder reizt sie das vorsichtige Infragestellen von Autorität, das bei »Ist er / Minister« am Zeilenende ohnehin mitschwingt und manchmal, wie von Walter Mehring, auch explizit formuliert wird: »Und kann er nichts, dann ist er / Zum mindesten Minister«?
//
Gutes Zitat von Peter Rühmkorf (aus »Einfallskunde«): »Die gähnende Leere in manchen modernen Gedichten – zumal der neuen Zimperlichkeit. Lyriker, die einfach nicht kapieren wollen, dass auf so eng begrenztem Raum an jeder Stelle was los sein muss.«
//
Der schönste, nein: der einzige schöne rührende Reim gelang gewiss der amerikanischen Band The Magnetic Fields in ihrem Song »The Death of Ferdinand de Saussure«:
»I met Ferdinand de Saussure//
On a night like this.
On love he said, »I'm not so sure
I even know what it is.«
Literaturkritik
Manchmal weiß der Mensch noch nicht von
Dummheit, Elend, Not und Leid.
Doch dann liest er ein Gedicht von
Erich Fried. Und weiß Bescheid.
//
Ein trochäischer Satz findet sich im Wikipedia-Artikel zum Europäischen Aal: »Aale schlüpfen im Atlantik, in der Saragossasee (in der Nähe der Bahamas).« Bzw.:
»Aale schlüpfen im Atlantik,//
in der Saragossasee
(in der Nähe der Bahamas).«
Poetry-Slam-Reime:
Schau mal: / Blauwal!
wohlfeil / Lo-fi
Leitstern / streit gern
versehentlich / auf Zehen schlich
Schlachtgewimmel / lacht der Himmel
Fafnir / Schaffner
Eiklar / Fighter
Allahu Akbar / Nachbar
Weiberheld / Cyberwelt
Hinterkaifeck / Scheißdreck
//
Ich erstand auf einem Bücherflohmarkt vor mehreren Jahren aus Versehen für einen Euro das Buch »Nachts unter Sternen« (1962), das nachgelassene Texte von Ernst Emanuel Krauss versammelt (über den Wikipedia weiß, dass seine Sprüche »1935 u. a. in den Arbeitszimmern von Adolf Hitler und seinem Stellvertreter« hingen). Die Gedichte und Aphorismen sind erwartbar öde (»O goldnes Dämmerblinken / hier unter meinem Baum!«), und so haben mich nur zwei Namen bei der Lektüre wachhalten können: Krauss schrieb unter dem passenden Pseudonym Georg Stammler, das Buch wurde herausgegeben von der Wilhelm Kotzde-Kottenrodt Gemeinde (nur echt mit einem Bindestrich). Na ja, für eine Kaufempfehlung reicht das nicht.
//
3 Fremdwortreime von Kurt Tucholsky:
kosten / Boston
Hotels / health
Herrentoiletten / Manhattan
Sonntag, 4. Juni 2017
Harry Graham (32)
Aus »More Ruthless Rhymes for Heartless Homes«:
Harry Graham: Grandpapa
Grandpapa fell down a drain;
Couldn't scramble out again.
Now he's floating down the sewer
There's one grandpapa the fewer.
Donnerstag, 1. Juni 2017
Juni-Sonett
Juni-Sonett
Mir
fällt nicht furchtbar viel zum Juni ein:
Ich
weiß, dass er durchaus nicht wie der Mai ist,
und
dass, sobald er nicht mehr an der Reih ist,
der
Juli folgt. War das erschöpfend? Nein?
Na gut,
dann diese Fakten hinterdrein:
Es
stimmt, dass man im Juni schwitzt und high ist,
und
grillend warmes Bier erbricht, das frei ist
von
Alkohol. Dann greift man kühn zum Wein,
und
bald zum Wodka, den man rasch bereut.
Man ist
sich schließlich selbst so wenig wert,
dass
man den fetten Wurstsalat mit Ei isst.
Man
kotzt vor Scham und Salmonelln erneut,
kurz:
Klasse, wenn der Juni uns beehrt,
doch
umso schöner, wenn der Scheiß vorbei ist.
Sonntag, 28. Mai 2017
Harry Graham (31)
Das Sonntagsgedicht aus »Canned Classics«:
Harry Graham: Sounding the Toxin
(Milk from excited or irritated cows is, according to the latest scientific opinion, more harmful than that which contains disease germs. The blood of an excited animal throws out poisonous toxins that are most insalubrious.)
O Milkman, be candid and tell me, I pray,
If your wares are with toxins infected;
If Clara the cow, when you milked her to-day,
Was unruffled, sedate and collected.
Did she wake in a temper and scornfully laugh
At the short-horn who came from Strathpeffer?
Did she spurn the advances of Clarence the calf?
Did she quarrel with Hannah the heifer?
If so, to her produce no time I'll devote,
But rely for my tea upon Gilbert the goat.
O my Butcher, please that if Susannah the sow,
Whom you recently turned into bacon,
Wore a look of ineffable peace on her brow,
If her nerves were unstrung or were shaken.
Oh, had Oswald the ox, when you severed his tail,
Been a martyr to mental disquiet?
Was there anything known about Constance the quail
Which would make her unfit for my diet?
Pray explain, ere his ham on my platter I pile,
Whether Patrick the pig met his death with a smile.
O, my Dairyman, tell me, I earnestly beg,
Lest my prospects of breakfast be blighted,
Whether Hetty the hen, on evolving her egg,
Was upset, overwrought or excited.
O my Grocer, bring news about Sam the sardine,
When he swam as a child in the ocean,
Was his character tranquil, his outlook serene?
Was he swayed by blind gusts of emotion?
For, if so, with a grief that is deep and acute,
I must really confine my attentions to fruit!
While the heart of Louisa the lettuce is dead,
And can harbour no poisonous acid,
Clementina the cabbage, though losing her head,
Is by nature proverbially placid,
And though Bill the banana (whose coat one must strip)
Provides suitable food for the glutton,
And Orlando the orange, though prone to »the pip,«
Is more wholesome than Mildred the mutton,
Without fear of bacilli my tastes I may glut
Upon Percy the pumpkin and Norah the nut!
Sonntag, 21. Mai 2017
Harry Graham (30)
Hundefreundliche Zeilen aus »The Motley Muse«:
Harry Graham: Egregious Eastbourne[A recent by-law of the Eastbourne Town Council renders the owner of any dog who barks upon the beach liable to a fine of forty shillings.]Never more shall I and Ponto
Traverse the Marine Parade,
Pass the Pier and wander onto
Eastbourne's Esplanade;
Never more, with lungs like leather,
And a heart as light as feather,
Shall we stray and play together
Where we strayed and played!
On the cruel Council's shingle
Man and beast no more may mingle!
With what never-ending rapture
Ponto would retrieve a stone,
Leap into the sea and capture
Sticks, wherever thrown;
Issue dripping from the ocean,
With his tail in constant motion,
And express his true devotion
In a strident tone,
Till the Judge, his license marking,
Fined him forty bob for barking!
Still, upon the sands, sopranos
Topmost notes in anguish reach,
Masked musicians thump pianos,
Negro minstrels screech;
German bandsmen blare and bellow,
But my Ponto, poor old fellow,
May not raise his loud but mellow
Bark upon the beach!
»Dumb,« indeed, is every beast born
In the neighbourhood of Eastbourne!
Sonntag, 14. Mai 2017
Harry Graham (29)
Sonntag ist Harry-Graham-Tag! Heute gibt es Tischtennisverse aus »Verse and Worse«:
Harry Graham: The Ballad of Ping-Pong
(After Swinburne)
The murmurous moments of May-time,
What bountiful blessings they bring!
As dew to the dawn of the day-time,
Suspicions of Summer to Spring!
Let others imagine the time light,
With maidens or books on their knee,
Or live in the languorous limelight
That tinges the trunk of the tree.
Let the timorous turn to their tennis,
Or the bowls to which bumpkins belong,
But the thing for grown women and men is
The pastime of ping and of pong.
The game of the glorious glamour!
The feeling to fight till you fall!
The hurricane hail and the hammer!
The batter and bruise of the ball!
The glory of getting behind it!
The brief but bewildering bliss!
The fear of the failure to find it!
The madness at making a miss!
The sound of the sphere as you smack it,
Derisive, decisive, divine!
The riotous rush of your racket,
To mix and to mingle with mine!
The diadem dear to the King is,
How sweet to the singer his song;
To me so the plea of the ping is,
And the passionate plaint of the pong.
I live for it, love for it, like it;
Delight of my dearest of dreams!
To stand and to strive and to strike it, –
So certain, so simple it seems!
Then give me the game of the gay time,
The ball on its wandering wing,
The pastime for night or for day-time,
The Pong, not to mention the Ping!
Sonntag, 7. Mai 2017
Harry Graham (28)
Aus »Baby's Baedeker«:
Harry Graham: France
The natives here remark »Mon Dieu!«»Que voulez-vous?« »Comment ça va?«»Sapristi! Par exemple! Un peu!«»Tiens donc! Mais qu'est-ce que c'est que ça?«They shave one portion of their dogs,And live exclusively on frogs.They get excited very quick,And crowds will gather before longIf you should stand and wave your stickAnd shout, »À bas le Presidong!«Still more amusing would it beTo say, »Conspuez la Patrie!«
The French are so polite, you know,They take their hats off very well,And, should they tread upon your toe,Remark, »Pardon, Mademoiselle!«And you would gladly bear the painTo see them make that bow again.Their ladies too have got a wayWhich even curates can't resist;'Twould make an Alderman feel gayOr soothe a yellow journalist;And then the things they say are soExtremely—well, in fact,—you know!MORALThe closest scrutiny can find
No morals here of any kind.
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