Noch mehr Notizen zu (meist absichtlich komischen) Gedichten, Fragmente, aufgegebene Aufsätze, Listen, poetologische Gedichte. Weiter geht's!
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Dass immer noch kein
Rühmkorf-Auswahlband mit dem unheimlich eingängigen Titel »Wahrheit – Wahnsinn – Vanitas«
(Vers aus dem Gedicht »Kleines Totentänzchen«) existiert, muss empören.
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Erich Mühsam reimte
Europa auf
faux pas.
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So erfreulich poetische »Smash-Hits« bzw. »Lyrik-Hämmer der
Saison« (Robert Gernhardt) für Verlag und Publikum auch sein mögen, dem
Poeten können sie zum Nachteil gereichen; dann nämlich, wenn er den
erfolgreichen Versen nichts Gleichrangiges hinterherschicken kann und in
der Folge auf
das eine Gedicht reduziert wird.
Ein
veritabler Lyrik-Hit jedenfalls gelang dem amerikanischen Schriftsteller
Gelett Burgess, der zu Beginn seiner Karriere im Jahre 1895 die
Zeitschrift
The Lark ins Leben rief, die immerhin 25 Ausgaben lang
hielt. In der ersten Nummer erschien sein Vierzeiler »The Purple Cow«,
dem er den hübschen ausführlicheren Titel »The Purple Cow's Projected
Feast: / Reflections on a Mythic Beast, / Who's quite Remarkable at
least« gab. Das einleuchtende Gedicht
leuchtet lautet folgendermaßen:
The Purple Cow
I never saw a purple cow,
I never hope to see one;
But I can tell you, anyhow,
I'd rather see than be one.
Wem spricht dieser Paarhuferskeptizismus nicht aus dem Herzen? Das
Gedicht erfreute sich entsprechend rasch großer Beliebtheit und wurde in
zeitgenössische und spätere Anthologien (etwa in
The Faber Book of
Nonsense Verse von 1986) aufgenommen, doch alas!, dem Dichter fielen in
den folgenden Jahren keine Zeilen ein, die »The Purple Cow« in Sachen
Eingängigkeit übertreffen konnten. Das führte zu der etwas seltsamen
Entscheidung von Burgess, die Merkverse nicht in seine erste Sammlung
A gage of youth. Lyrics from The Lark and other poems (1901)
aufzunehmen. Viel wichtiger ist aber seine lyrische Reaktion auf die
anhaltende Popularität des Vierzeilers. In der vorletzten
The
Lark-Ausgabe (1897) kokettierte er:
Confession
Ah, yes, I wrote the »Purple Cow« —
I'm sorry, now, I wrote it;
But I can tell you anyhow
I'll kill you if you quote it.
Ich
kann zwar die gewiss interessante Frage, ob sich die Farbe der
Milka-Kuh dem Gedicht von Gelett Burgess verdankt, nicht beantworten, möchte aber
noch knapp und verkürzt auf die Wirkungsgeschichte des Vierzeilers
hinweisen:
Carolyn
Wells nämlich, die ebenfalls für
The Lark schrieb und u. a. als
Autorin und Herausgeberin von komischer Lyrik fungierte, konnte in ihrer
Anthologie
Such Nonsense! (1918) auf die Popularität des Gedichts
zählen, also veröffentlichte sie nicht weniger als achtzehn Parodien der »Purple Cow« im Stile der großen englischsprachigen Dichter. Ob sie die
Tonfälle von Milton, Shelley, Wordsworth usw. wirklich traf, vermag ich
nicht zu beurteilen. Weil aber Edgar Allan Poes »The Raven« bekannt
sein dürfte, sei hier die titellose Wiederkäuer-Version zitiert:
Open then I flung a shutter,
And, with many a flirt and flutter,
In there stepped a Purple Cow which gayly tripped around my floor.
Not the least obeisance made she,
Not a moment stopped or stayed she,
But with mien of chorus lady perched herself above my door.
On a dusty bust of Dante perched and sat above my door.
And that Purple Cow unflitting
Still is sitting – still is sitting
On that dusty bust of Dante just above my chamber door,
And her horns have all the seeming
Of a demon's that is screaming,
And the arc-light o'er her streaming
Casts her shadow on the floor.
And my soul from out that pool of Purple shadow on the floor,
Shall be lifted Nevermore!
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Zwei unsinnige, aber wohlklingende Zeilen:
Der Uzi-Verein
lud Luzifer ein.
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Der Nationalsozialist Hanns Johst (1890-1978) amtierte als Präsident der Reichsschrifttumskammer und wurde als Dichter bekannt für sein von der Nazi-Presse begeistert aufgenommenes Drama
Schlageter. Seine Karriere
endete 1945 verdientermaßen abrupt,
Wikipedia gibt Auskunft über seinen weiteren Werdegang: »In der
Bundesrepublik konnte Johst schriftstellerisch nicht mehr Fuß
fassen, schrieb aber seit 1952 unter dem Pseudonym ›Odemar Oderich‹
Gedichte für die Edeka-Kundenzeitschrift
Die kluge Hausfrau.«
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Die
Reimschemata der einzelnen Strophen in Rühmkorfs Gedicht »Auf Sommers
Grill« wirken wie zum Teil umgedrehtes Grillgut: abxb cddc effe ghhg
ijxi. (Ist das schon
Synästhesie?)
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Zwar fehlt mir ein Faible für ländliche Gotteshäuser, und Außentemperaturen über 10° sind mir grundsätzlich verhasst, doch das folgende Gedicht Detlev von Liliencrons übt mit seiner letzten Strophe einen unerklärlichen Reiz auf mich aus:
Dorfkirche im Sommer
Schläfrig singt der Küster vor,
Schläfrig singt auch die Gemeinde,
Auf der Kanzel der Pastor
Betet still für seine Feinde.
Dann die Predigt, wunderbar,
Eine Predigt ohne Gleichen.
Die Baronin weint sogar
Im Gestühl, dem wappenreichen.
Amen, Segen, Thüren weit,
Orgelton und letzter Psalter.
Durch die Sommerherrlichkeit
Schwirren Schwalben, flattern Falter.
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Noch mehr Poetry-Slam-Reime:
Mit Augenringen / von (oder zu) Tauben singen
Kattegatt / hatte satt
Boßeln / mit Friedrich dem Großen
Staubschicht / glaub's nicht
Anschein / pansch Wein
Raubzug / Ausdruck
Vielfraß / Spielspaß
Sichtschutz / Nichtsnutz