Dienstag, 14. November 2017

Notizen zur Poetik (3)

Noch mehr Notizen zu (meist absichtlich komischen) Gedichten, Fragmente, aufgegebene Aufsätze, Listen, Gedichte übers Dichten usw.

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Klaus Cäsar Zehrer ist dank Das Genie, einem Blauwal von Roman, nun medial endlich so omnipräsent, wie er es schon lange zuvor mit seinem lyrischen und theoretischen Werk hätte sein sollen: Er gab mit Robert Gernhardt die »Hell und schnell«-Anthologie und die gleichlautende Reihe bei S. Fischer heraus, er verfasste eine Dissertation über die Dialektik der Satire, er klärte über die Affinität der Neuen Frankfurter Schule zum Meer auf, und er schrieb auch selbst komische Gedichte, von denen bisher nur die für Kinder veröffentlicht wurden.
Andererseits: Was heißt hier »nur«, denn da wäre nämlich etwa das von F. W. Bernstein illustrierte veritable Versepos Knut Großmut der Raubtierbändiger, das (und der) es leicht mit diversen komisch gemeinten Gedichtbänden anderer Autoren für Erwachsene aufnehmen kann. In mehrheitlich kreuzgereimten Strophen breitet Zehrer eine »Zirkusgeschichte für Kinder mit starken Nerven« aus, in der der wahnsinnige Knut Großmut erst einen investigativen Reporter (der interessanterweise wie Peter Rühmkorf aussieht) und alsbald sämtliche Menschen und Tiere des »Zirkus Schienbein« seinen Großkatzen zum Abendbrot serviert. Das wirft gewisse Probleme auf:
»Es kann so ein Betrieb nun mal
nicht richtig funktionieren,
steckt das gesamte Personal
im Bauch von wilden Tieren.«

Ein verlustreiches Happy End gibt es natürlich trotzdem, und wenn der Diogenes Verlag jetzt auch noch Zehrers gesammelte Reime unter die Leute bringen könnte, wäre die Welt um eine weitere glückliche Fügung reicher.

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Die englische Sprache ist zwar wesentlich reimfreundlicher als die deutsche, hält aber keinesfalls plenty Reime auf twenty bereit, was sich am eindrücklichsten wohl am Ende des 1. Aktes von Gilbert & Sullivans komischer Feenoper »Iolanthe« zeigt: Der junge Hirte Strephon wird von seiner Verlobten Phyllis und Mitgliedern des House of Peers, die sich wiederum nach Phyllis verzehren, dabei beobachtet, wie er von seiner Mutter getröstet wird. Weil diese jedoch eine Fee ist und Feen bekanntlich nicht altern, wird die Szenerie von den Zuschauern gründlich falsch eingeschätzt. Strephon versucht noch abzuwiegeln (»This lady's my mother!«), doch zu spät, die Politiker glauben ihm nicht und singen also:
»This gentleman is seen,
With a maid of seventeen,
A-taking of his dolce far niente;
And wonders he'd achieve,
For he asks us to believe
She's his mother — and he's nearly five-and-twenty!

Recollect yourself, I pray,
And be careful what you say —
As the ancient Romans said, festina lente.
For I really do not see
How so young a girl could be
The mother of a man of five-and-twenty.«
Die Fremdwortreime muten schon hier eigenartig an, im finalen Song des Aktes lässt Gilbert die Sänger (Peers) und Sängerinnen (Fairies) dann noch deutlicher auf den komischen Gehalt nicht-englischer Reimworte hinweisen:
Peers:
»Your powers we dauntlessly pooh-pooh:
A dire revenge will fall on you.
If you besiege
Our high prestige —«

Fairies:
»(The word »prestige« is French,
The word »prestige« is French).«

Peers:
»Your powers we dauntlessly pooh-pooh:
A dire revenge will fall on you.
Young Strephon is the kind of lout
We do not care a fig about!
We cannot say
What evils may
Result in consequence!
Our lordly style
You shall not quench
With base canaille

Fairies:
»(That word is French.)«

Peers:
»Distinction ebbs
Before a herd
Of vulgar plebs

Fairies:
»(A Latin word.)«

Peers:
»'Twould fill with joy,
And madness stark
The oι πoλλoί

Fairies:
»(A Greek remark.)«

Peers:
»One Latin word, one Greek remark,
And one that's French.«
Apropos William Schwenck Gilbert und Fremdwortreime: In »The Mountebanks«, einer seiner Opern, die er ohne den kongenialen Arthur Sullivan schrieb, finden sich diese zeitlos schönen Verse:
»Those 'days of old'
     How mad were we
          To banish!
 Thy love was told,
     Querido mi,
           In Spanish
 And timid I,
     A-flush with shame
          Elysian,
 Could only sigh,
     Dieu, comme je t'aime?
          (Parisian.)
 No matter, e'en
     Hadst thou been coined
          A Merman,
 Thou wouldst have been
     Mein lieber freund
          (That's German.)
 Thy face, a-blaze
     With loving pats,
          Felt tinglish,
 For in those days
     I loved thee— that's
          Plain English!«
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Unvollständige Liste mit unreinen Reimen von Walter Mehring:

geschultert / gepoltert
Erpresserwelt / Messerheld
München / wünschen
Schottenband / Kokottenstand
Schürzen / vierzehn
Musterung / Pappkarton
falls dir / Malzbier
Pst / Christ
Spießer / Tausendfüßler

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Julia Engelmann = Friederike Kempner + Zeit

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Der Lyrik-Boom
Variationen

I

Ich hab euch ein Gedicht
verfasst.
Das hat euch leider nicht
gepasst.


II

Umsonst ist mein Gedicht
gewesen:
Ihr habt es leider nicht
gelesen.


III

Ich werd euch kein Gedicht
mehr schmieren.
Ihr würdet's ja doch nicht
kapieren. :-(

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Throwback: Parallel zur Titanic-Humorkritik im Juli verfasste ich eine zweite Rezension zu Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen, vergaß aber, sie hier zu posten. Hiermit sei sie nachgereicht.

Jüngst und rechtzeitig zu ihrem 50. Todestag erschien im Dörlemann-Verlag der zweisprachige Band Denn mein Herz ist frisch gebrochen mit Dorothy Parkers Gedichten. Zunächst wäre positiv anzumerken, dass Parkers lyrisches Werk dadurch hierzulande leicht (wiewohl teuer) zugänglich geworden ist, nachdem in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich ihre Erzählungen übersetzt wurden. Die günstigere und vollständigere Alternative sind die bei Penguin Classics erschienenen Complete Poems, die naturgemäß ohne deutsche Verständnishilfe auskommen, – und viel mehr als »Verständnishilfen« sind Ulrich Blumenbachs Nachdichtungen leider nur in Ausnahmefällen (etwa in der dt. Version von »Verse for a certain dog«): Seine Versionen halten sich zwar zumeist an die strenge Form des Originals und bieten Rat bei mancher Unverständlichkeit in englischer Zunge, doch stellen den Leser bisweilen vor ganz neue Probleme: Wer ist ein Reff (as in »Da kam ein Reff gelaufen«)? Und was muss man sich vorstellen unter »Blumen, die glosen«?
Parkers Vers »And why with you, my love, my lord« (Hervorhebung von mir) wird zu »Und warum nur, mein Schatz, mein Scheich«, damit er sich auf »Gähn ich bei dir vor Stumpfsinn gleich« reimt. Aus »Will he see me fair?« macht Blumenbach »Bin ich noch sein Star?«, »Once the skies were a cloudless blue« heißt in der dt. Fassung »Früher warn Himmel blau, stabil« und »Love is a game that two can play at« bekommt bei Blumenbach eine homoerotische Azubi-Grundierung: »Und das Liebesspiel spielen zwei Gesellen.« Besonders unglücklich: »I'm one of the glamorous ladies / At whose beckoning history shook« wird zu »Ich zähl zu den glanzvollen Damen, / Die umweht der Geschichte Geruch.« Oll und modernd, oder wie?

Fast auf jeder zweiten Seite (denn links steht jeweils Parker, rechts Blumenbach) stolpere ich über irgendeine nicht ganz ideale Passage, was ich jedoch nicht allein auf den Übersetzer schieben möchte, denn Parkers bzw. komische englischsprachige Gedichte im Allgemeinen sind durch die oft ungleich kürzeren Sätze und vielfältigere Reimauswahl kaum adäquat ins Deutsche zu »schmuggeln« (Enzensberger). Und manchmal gelingen ihm auch durchaus glückliche Neuschöpfungen, »damned tomorrow« überträgt er zum Beispiel mit »Scheißmorgen«, »melancholy night« mit »mollgestimmte Nacht«.
Dass er aber u. a. »seh« auf »nie« reimt, »bin« auf »Italien« und »Vergehen« auf »Spanien«, verzeihe ich ihm nicht, zumal er sich damit auch weit von Parker entfernt, die sich in ihren Gedichten auf reine Reime beschränkt.

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Reim für schwer erziehbare Kinder

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