Montag, 12. September 2016

Reich-Ranicki zum Vergnügen

Im November erscheint bei Reclam mit ›Rühmkorf zum Vergnügen‹ ein Auswahlbändchen, das ausnahmsweise seine Berechtigung hat: Nicht nur veröffentlichte der »Gigant« (Heinz Strunk) Peter Rühmkorf selbst einen Gedichtband namens ›Irdisches Vergnügen in g‹, er war auch überdies und -haupt ein Schriftsteller, bei dem die komischen Sätze nicht mit der Lupe gesucht werden müssen. Ich nehme zumindest an, dass die Herausgeber von ›Fontane zum Vergnügen‹ oder ›Marx zum Vergnügen‹ sich etwas länger durch die jeweiligen Werkausgaben zu quälen hatten, bis die reihenüblichen knapp 200 Seiten gefüllt waren.

Vermutlich wird sich nichts aus dem Rühmkorfschen Briefwechsel mit Marcel Reich-Ranicki im Reclam-Büchlein finden, was einerseits betrüblich ist, andererseits aber durch den Umstand gemildert wird, dass die gesammelte Korrespondenz immerhin im letzten Jahr bei Wallstein erschienen ist. Rühmkorf befindet sich in dem 287 Briefe langen Austausch fast durchgehend in der Defensive: Ab 1974 soll er Texte liefern für das von Reich-Ranicki betreute FAZ-Feuilleton (insbesondere für die ›Frankfurter Anthologie‹), die er zunächst auch brav verfasst. Mit der Zeit jedoch erbittet er immer neue Rezensionsexemplare, denen er keine Kritik/Interpretation folgen lässt. So weit, so Redaktionsalltag, und Rühmkorfs Briefe selbst bieten obendrein auch nur selten Anlass zum Lachen. Komisch dagegen sind die unablässigen Missverständnisse zwischen beiden und Rühmkorfs Arbeitseinstellung, die dem angehenden Literaturpapst zusehends auf die Nerven geht. Der schreibt im Oktober 1978:
»Mein lieber Peter Rühmkorf,
so geht das nicht weiter. Sie liefern nichts, kommen mit immer neuen Vorschlägen, denen wiederum immer neue Ausreden folgen. [...] Wie lange sollen wir noch warten? Warum sind Sie so faul? [...] Sie wünschten Theramé ›Die Taxifahrerin‹. Vermutlich handelt es sich um irgendeine Sauerei, die Sie inzwischen schon genossen haben, ohne an Ihrem Genuss die Leser unserer Zeitung teilnehmen zu lassen.« (S. 96)

Die Jahre vergehen, doch Rühmkorf bessert sich nicht, im Gegenteil, er treibt den Kritiker 1983 vollends zur Verzweiflung, als er sich Arno Schmidts einleitendes Gedicht aus ›Das steinerne Herz‹ zur Besprechung für die ›Frankfurter Anthologie‹ aussucht [es handelt sich um das Widmungsgedicht ›Nicht nur / die allerorten, bei jeder Gelegenheit...‹, das nur in der Erstausgabe enthalten war]. Reich-Ranicki nimmt den Vorschlag erst an, um alsbald hektisch zu widerrufen: Die Gedichte dieser Rubrik durften seinerzeit eine Länge von 30, maximal 36 Zeilen nicht überschreiten, das fragliche Werk umfasst aber beinahe 60 Verse. Rühmkorf wittert politische Gründe hinter der Zurückweisung und hält Reich-Ranicki vor, während eines Telefonats doch sogar das Buch aus dem Regel geholt sowie die Länge des Gedichts geprüft und abgenickt zu haben. Die Antwort fällt ungehalten aus:
»Und ich habe während des Gesprächs tatsächlich die Zeilen gezählt. Ich kam auf 28 Verse, und das ist ja ein für unsere ›Frankfurter Anthologie‹ zulässiger Umfang [...]. So habe ich das Gedicht, wie fast alle Ihre Vorschläge, gern akzeptiert. Ich bin nicht auf die Idee gekommen, dass das Gedicht auf der nächsten Seite noch weitergeht [...].« (S. 163)

Einen Brief später sieht Reich-Ranicki sich zum Stoßseufzer genötigt:
»Sie waren doch früher, wenn ich mich recht erinnere, ein durchaus praktischer Mensch. Hat die jahrelange Beschäftigung mit der holden Dichtkunst auf Ihren Realitätssinn einen ungünstigen Einfluss ausgeübt?« (S. 168)

Gut möglich. 1995 kommt es jedenfalls wegen geteilter Meinungen zu Günter Grass und dessen Roman ›Ein weites Feld‹ zum Bruch zwischen beiden, Reich-Ranicki schweigt betrübt über Vorwürfe des Dichters, und fünf Jahre verstreichen, bis Rühmkorf ein gereimtes Versöhnungsangebot nach Frankfurt schickt: »Gestatten einen Lungenzug / aus langer Friedenspfeife. / Fünf Jahre Fehde sind genug, / wie ich die Welt begreife.« (S. 233)
Der stolze Kritiker nimmt nur unter einer Bedingung an:
»Ich erwarte nicht, dass Sie zurücknehmen, was Sie damals verzapft haben. Nur sollten Sie jetzt etwas über meine Arbeit schreiben [...]. Kommt ein solcher ernster Artikel aus Ihrer Feder, dann will ich nicht etwa vergessen, doch immerhin verdrängen, was Sie mir angetan haben.« (S. 235)

Rühmkorf kuscht, Reich-Ranicki fühlt sich vom nämlichen Artikel »berührt und gerührt«, und doch ist die Luft raus, der Briefwechsel versiegt zusehends und endet schließlich im August 2006.
Vier Bonus-Beobachtungen: 1.) Rühmkorf schrieb in den Siebzigern Robert Gernhardts Nachnamen konsequent ohne T., Reich-Ranickis Sekretärin übernahm den Fehler nach einigen Briefen. 2.) Ich habe zwar zu Grundschulzeiten den undankbaren vierten Platz bei einem kreisweiten Plattdeutsch-Vorlesewettbewerb belegt, verstehe aber heute kaum mehr ein Wort dieser Sprache und freue mich also umso mehr über die wohldosierten Anmerkungen der Herausgeber, die so hübsche niederdeutsche Worte wie »Bönhase« (Pfuscher) oder »wurachen« (schuften), die Rühmkorf verwendet, erklären. 3.) Reich-Ranicki traute seinen Lesern die Kenntnis lyrischer Grundbegriffe nicht zu und bat Rühmkorf daher, die Termini Klinggedicht und männliche Kadenz (»Sie [die Leser] glauben wahrscheinlich, es handle sich um einen Körperteil.«) aus seiner Interpretation von Brechts ›Fragen‹ zu streichen. 4.) Rühmkorf verfügte offenbar über ein beträchtliches Ego (oder großen Durst), wie sich aus einem Brief Reich-Ranickis an den Chef vom Dienst der FAZ aus dem Jahre 1981 rekonstruieren lässt: An einige Mitarbeiter hatte Reich-Ranicki »aus Anlass der Weihnachtsfeiertage« sechs Flaschen Sekt geschickt, jedoch:
»Ein sehr wichtiger Mitarbeiter, der indes nicht bedacht war, hat es erfahren und ist drauf und dran, uns zu grollen, weil wir ihn vergessen haben. Kurz und gut: ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte hätten, die Verschickung noch eines Kartons mit 6 Flaschen Henkell Trocken anzuweisen an: Peter Rühmkorf.« (S. 134)

Dienstag, 26. Juli 2016

Ein Schüttelreim

Hegel in finanziellen Schwierigkeiten

»Sag mir, lieber Weltgeist,
was du über Geld weißt!«


Apropos Weltgeist: Ein Lob der Paywall.

Donnerstag, 7. Juli 2016

EM-Sonett VI

EM-Sonett VI
Lied des Kommentators: Deutschland - Frankreich 0:2 (0:1)


Was nützt's, dass ich den Gegner an die Wand spiel
mit feinen Pässen und dem ganzen Rest,
dass meine Abwehr ungeheuer presst;
wenn Schweini sich vergreift: Elfmeter (Handspiel)?

Was nützt es ferner, dass ich dominant spiel?
Das Schland-Spiel: insgesamt so sattelfest;
wenn man den Gegner Tore schießen lässt?
Ey Stürmer, dribbel nicht nur elegant, spiel!!!

Wir waren einst die Heimstatt der Genies, Mann!,
von Goethe, Schiller, Heine, Olli Kahn.
Jetzt warf ein Team mit Hahn uns aus der Bahn.

Der Mann des Spiels nicht Müller, sondern Griezmann.
Die Welt ist schlecht und aus dem Himmel weint's.
Und morgen geht mein Flugzeug Richtung Mainz. :-(

Sonntag, 3. Juli 2016

EM-Sonett V

EM-Sonett V
Deutschland - Italien 7:6 (1:1, 0:0) n. E.


Kennst du das Land, das die Elfmeter in
die Wolken schoss und/oder Neuers Hände?
Das hinten stand, als ob das Glück dort stände;
und hinten stand das Glück auch zu Beginn,

doch nicht am Ende.
Denn wenn ich richtig unterrichtet bin,
verlor das Land ja doch. Dahin, dahin
die Hoffnung. Schließlich jubelte der Fan (DE).

Kennst du das Land, das nun zum ersten Male
(denn Hectors Schüsslein war der Schicksalsschlag)
den Deutschen, da es zählte, unterlag?

Jetzt ist gleich mit dem Viertel- schon finale.
Kennst du das Land der völlig Titelfernen?
Du kennst es nicht? Du wirst es – Quatsch, du hast das Spiel ja wohl gesehen und das Land
                 folglich spätestens da kennengelernt, zumal es auch noch in der Überschrift genannt
                 wird. Ich entschuldige mich für die Frage.

Sonntag, 26. Juni 2016

EM-Sonett IV

Europameisterschafts-Sonett IV
Ein Bericht von der Fanmeile: Deutschland - Slowakei 3:0 (2:0)

Das 1:0 fiel früh und klebte mir
(man warf mit Bechern) lange in den Haaren.
Ich möchte mir ein Elfer-Urteil sparen,
denn da erstand ich grad ein neues Bier.

Ich konnte bloß aus zweiter Hand erfahren,
dass Özil ihn verschoss, doch c'est la wir
(das ist ein Wortspiel!) führten bald mit vier
und fünf zu null, weil wir die Bessren waren.

Sonst weiß ich nicht mehr allzu viel vom Spiel.
Obwohl: Ich trank vom Fass, nicht aus der Lethe!
Doch fast so elegant wie Draxler drehte

sich alles um mich rum. Ich c'est la fiel,
und sah mich die EM-Trophäe heben.
Ich höre auf, ich muss mich übergeben.*



*: Leihvers von Hermann Hesse.

Dienstag, 21. Juni 2016

Europameisterschafts-Sonett III

Europameisterschafts-Sonett III
Seufzer nach Nordirland - Deutschland 0:1 (0:1)


Einen Lobgesang auf Kimmich,
Gomez und so weiter stimm ich
nicht (das Spiel lief schließlich grimmig*)
                                           an:

Dass nicht alles klappt, verstehn wir,
in die nächste Runde gehn wir:
Ob sich dort was bessert, sehn wir
                                       dann.

Tore, nicht bloß hübsche Haken,
müssen gegen die Slowaken**
                                   ran***.

Was von nun an zählt, sind Siege:
Wo man gegen die**** doch nie***** ge-
                                        wann...


*: Das stimmt zugegebenermaßen nicht so ganz, aber finden Sie mal einen vernünftigen dritten Reim auf -immig!
**: Oder Albaner.
***: Bzw. her.
****: Die Slowaken, nicht die Albaner.
*****: Lies: vor einigen Wochen (vgl. hier) nicht.

Freitag, 17. Juni 2016

Europameisterschafts-Sonett II

Europameisterschafts-Sonett II:
Durchhalteparolen nach Deutschland - Polen 0:0


Welch Wahnsinns-Match! O Offensiv-Lawine!
Die Pässe: fein, das Stellungsspiel: famos,
die Schüsse: zahlreich. Ja, es war was los,
beim Sieg Nordirlands gegen Ukraine.

Naturgemäß verblasst da das Gekroos
der Deutschen, die mit unbewegter Miene
und einem 0:0 in die Kabine
verschwanden. Draußen Buhs statt Ahs und Ohs.

Zu sehn, wie Götze durch den Strafraum irrt,
kann keinem Kenner ernstlich Spaß bereiten.
Jedoch: Es kommen wieder bessre Zeiten;

ob sie auch murkste: Jogis Mannschaft wird
statt in die Hose nach dem Titel greifen:
Drum wende dich nicht ab, nein, bleib dabei, Fan!

Sonntag, 12. Juni 2016

Europameisterschafts-Sonett I

Europameisterschafts-Sonett I: 
Deutschland - Ukraine 2:0 (1:0)

Der Abend ging dahin wie die Passanten:
Um 21 Uhr begann das Spiel.
Bekriegsflaggt lag die Innenstadt von Lille,
da die Heroen Richtung Rasen rannten.

Pathetische Metapher: Herzen brannten.
Ein Sieg der Deutschen war das deutsche Ziel,
was, als ein Freistoß auf Mustafi fiel,
auch alle Ukrainer jäh erkannten.

Dann traf Khedira nicht, und Boateng
beinah ins eigne Tor. Das Spiel blieb eng,
bis Schweini trat, was Gott sei Dank der Ball war.

Ein Pfiff. Vorbei. Von Rängen drang Geschrei,
dass Deutschlands Elf die allergrößte sei:
Was, wenn man richtig hinsah, nicht der Fall war.


Nachtrag vom 13.6.: Kein gutes Gedicht, aber das passt ja zum Spiel. Die metrischen Ungenauigkeiten spiegeln die holprige erste Hälfte wider, die drei redundanten was-Konstruktion symbolisieren die ideenlosen Angriffsbemühungen.

Sonntag, 29. Mai 2016

Deutschland - Slowakei 1:3 (1:2)

Deutschland - Slowakei 1:3 (1:2)

Der beste Freund des Menschen ist der Regen:
Er wässert Felder und er tränkt das Vieh,
er reimt sich gut und taugt zur Poesie.
Allein beim Fußball kommt er ungelegen.

Er störte jüngst das Spiel der Deutschen gegen
die Slowakei und schaute sich die Nie-
derlage an. Egal wie Jogi schrie:
Vorn traf man kaum, und hinten stand ter Stegen.

Der griff am Ball vorbei, doch das passiert ihm
bei der EM gewiss kein zweites Mal.
Denn dort ist gottlob Neuer erste Wahl,

und außerdem war Deutschland stets Turnier-Team...
Mit Glück (ein Trost für die, die heut erschraken)
erspart ein frühes Aus uns die Slowaken.

Freitag, 27. Mai 2016

Zwei Gedichte für Kinder

I: Ermutigung

Du magst die Welt und findest bloß
das eine nicht zum Lachen:
Die Großen sind dir viel zu groß?
Oh, spiel jetzt nicht den Trauerkloß,
beherrsche dich und wein nicht los:
Da lässt sich etwas machen!

Kauf eine schöne Säge ein.
Dann hebe dich zu Taten!
Schneid die Erwachsnen kurz und klein,
kapp Bein um Bein um Bein um Bein!
(Doch bitte lass das Kürzen sein,
triffst du den Literaten.)


II: Lehrgedicht

Wer an der Straße steht und links/rechts schaut,
statt einfach optimistisch loszurennen
(ihr werdet solche Kinder sicher kennen!),
ist, weil er sich nicht so hinüber traut,
ein feiges Huhn. Und ebenso zu nennen.

Es ist nicht weiter schlimm, wenn ihr ihn haut.