Mittwoch, 23. Dezember 2015

B-Seiten 2015

Salomo Friedlaender alias Mynona, von dem das lateinische Motto dieses Blogs stammt, übersetzte den (wiederum von Horaz geborgten) Satz folgendermaßen: »Großes gewollt zu haben genügt.« Bei einem Blick auf die bisher veröffentlichten Gedichte fällt jedoch auf, dass ich dieser Vorgabe durchaus nicht folgte, schließlich jagt hier ein Hit den nächsten, Ausschuss- ist zugleich Mangelware. Eine irre Dichte an Highlights. Na ja, zumindest fast. 
Jetzt zum Ende des Jahres kann ich ja endlich mit dem Bekenntnis rausrücken: Nicht jedes meiner Gedichte ist auch rundweg gelungen, viele hielt ich bislang aus Scham zurück. Denn wenngleich mancher erste Vers verheißungsvoll anhebt, manches Reimpaar weißgottwieinnovativ ausfällt und manche Pointe immerhin mit originell in Anführungszeichen hinreichend beschrieben ist: An Klassiker wie »Junger Journalismus, junge Themen«, »Gesang des Germanisten« oder das »Kabarettsonett« kommen sie nicht heran.
Unten eine Auswahl an zähen Zeilen, miesen Metaphern und verstolperten Gags, die im Jahr 2015 entstanden!

----

I: Meine literarische Karriere begann in diesem Jahr mit einem echten Paukenschlag bei den Prinzessinnenreportern (an die tagesaktuellen Umstände wird sich vermutlich niemand mehr erinnern). Dort erschien die improvisierte und verlängerte Version eines Frühlingsgedichts, das hier in seiner Originalfassung veröffentlicht wird:

Nachspürgedicht

Der Frühling naht! O liebe Sonne, brenne!
Die Wiesen glühn bereits vor erstem Grün,
auf Felder sieht man Bauern Gülle sprühn.
Die Krokusse, die Hyazinthen blühn,
und andre, deren Namen ich nicht kenne.

----

II: Für eine noch etwas detaillierter auszuarbeitende komische Oper zum Gesundheitswesen:

Lied des Internisten (Fragment)

»Ach, wäre ich doch bloß nicht Arzt und hätt ich
etwas Vernünftiges (wie Kunst) studiert!
Dann wär das eben keinesfalls passiert,
mit dieser sehr, sehr armen Frau. Das wett ich.

Woher weiß ich denn, was ein
›Hämatom‹ ist?
Ich bin bloß Doktor, kein gelehrter Mann.
Am Dienstag treffe ich sie wieder an-
lässlich der Trauerfeier, die im Dom ist.

Nun denn, zu Ihnen
, oh nein, Schwester Ruth, sehn
Sie bitte nach: Wie geht es dem Verband?
Ich hab noch Dings, na: Keime an der Hand,
und kann, Sie ahnen es vielleicht, kein Blut sehn.
«

----

III: Judith Holofernes' erster Gedichtband, der sich exklusiv mit der Tierwelt beschäftigt, wurde von der Kritik wenig euphorisch aufgenommen. In jeder Buchhandlung allerdings ist er exponiert ausgestellt, er verkauft sich mithin mutmaßlich ordentlich. Da ich schon immer ein gewisses Interesse an Geld hatte, entstand ein eigenes Tiergedicht. Mit den entsprechenden Illustrationen könnte es sich um ein Millionengeschäft handeln (Suhrkamp?).

Pläne

Wenn ich ein Pferd wär, wär ich gerne Hund,
und wenn ich Hund wär, dann noch lieber Qualle.
Als solche zög ich alle Menschen (und

wenn ich hier alle sag, mein ich auch: alle)
mit meinen Nesseln auf den Meeresgrund
und lachte mir die Quallenkehle wund. 


 ----

IV: Ungleich drolliger geht es hier zu:

Begegnung

Ein Hund sieht einen andern Hund. (Die Welt
ist reich an Tieren, und so kanns geschehen,
dass zwei sich plötzlich gegenüberstehen.)
Er hebt den Schwanz und räuspert sich. Und bellt.

Sein Gegenüber: dito. Allerhand!
Da springt er los, sich seinen Feind zu krallen,
und merkt erst, als die Scherben auf ihn fallen,
dass er allein vor einer Glastür stand.


----

V: Im Sommer erfanden Bürger in Heidenau unter den interessierten Blicken der Einsatzkräfte die Willkommenskultur. Zum Glück existierte dieser Blog damals noch nicht, unter allerlei engagierten Versen jener Tage ist dieses Lied wohl noch das vorzeigbarste Werk (wenngleich es den Polizisten aus »The Pirates of Penzance«, die bloß feige sind, Unrecht tut.)

Lied der Polizei
Zu singen auf »When a felon's not engaged in his employment« aus Gilbert & Sullivans »The Pirates of Penzance«.

»Wenn besorgte Bürger nicht das Volk verhetzen,
oder fackelschwanger durch die Straßen ziehn,
sind sie liebe Menschen, die den Frieden schätzen,
und trotzdem nicht in den freien Westen fliehn.
Doch an diesen Umstand sollen wir nicht denken,
wenn man uns zu einem Flüchtlingseinsatz zwingt.
Ach, wie gern wir unsern Schlagstock manchmal schwenken!,

aber gegen gute Deutsche nur bedingt.

Wenn man uns zu einem Flüchtlingseinsatz zwingt,
drangsaliern wir gute Deutsche nur bedingt.

Wenn ein Sachse nicht auf einen Syrer einsticht,
wenn ein Hesse nicht das Wessel-Lied skandiert,
schaun sie gerne, wie ein Segler in den Rhein sticht,
und hörn zu, wenn eine Lerche tiriliert.
Schimpft ein Nazikader grade nicht auf Juden,
sieht man ihn von seiner Kinderschar umringt.
Gutenachtgeschichten liest er aus dem Duden,
auch wenn das (vgl. Facebook) nicht viel bringt.

Wenn man uns zu einem Flüchtlingseinsatz zwingt,
drangsaliern wir gute Deutsche nur bedingt.
«

----


VI: Die Anapher ist das Stilmittel der Stunde; und das war sie, wie dieses Sonett beweist, bereits im Oktober. Die Wendung im zweiten Terzett soll diesem Blog endlich die zahlenmäßig bedeutende Zielgruppe der christlichen Lyrikfans erschließen.

Oktobersonett

Nun ist es Herbst. Das musste ja geschehen.
Die Tage graun wie Vollkornknäckebrot,
und alles Laub verfärbt sich gelb und rot:
Das ist bekannt und nicht zu übersehen.

Nun ist es Herbst. Und jeder Idiot
reimt in Sonettform, dass die Winde wehen,
und dass in weichen Wäldern Pilze stehen,
die man nicht essen sollte. Sonst droht Tod.

Nun ist es Herbst, ich muss mich wiederholen.
Mitunter regnet es. Mitunter nicht.
Und manchmal ragt die Sonne ins Gedicht,

als hätte es ein guter Gott befohlen:
Dann freut man sich am Himmlischen, der wahr ist,
und hofft, dass dieser Schnupfen kein Katarrh ist. 


----

VII: Apropos letzte Themen! Apropos Herbst! Apropos Pilze!

Ausflug im Herbst 

»Siehst du die Gänse dort am Himmel schweben?
Sie fliegen nach
, ach, was weiß ich wohin.
Ich kann dir keine nähren Infos geben:
Bei Tieren liege ich zu oft daneben,
weil ich statt Zoologe Vater bin.

Hörst du das raue Rascheln in den Weiden?
Es könnten allerdings auch Buchen sein...
Ich konnte Bäume leider nie recht leiden,
und möchte mich in dem Fall nicht entscheiden.
Ich hoffe doch, das kannst du mir verzeihn.

Willst du von diesen Pilzen mal probieren?
Ich kann dir sagen, welche essbar sind:
Nimm die! Sie schmecken, das siehst du an ihren
sehr weißen Pünktchen, die das Rote zieren.
Das lernte ich als kleines Kind.

                                                    Kind!
                                                              Kind?
«

----

VIII: Mit Recht wird immer wieder moniert, in meinen Gedichten spiele das heikle Feld der Romantik praktisch keine Rolle. Als Ausgleich ein veritabler, schichtenüberwindender Liebesjubel:

Liebeserklärung

»Du magst zwar nur ein Bauer sein,
mit Schweinen, Feldern, Hofgut;
Dein Himmel dürfte blauer sein,
du könntest sehr viel schlauer sein,
so wie Christopher Lauer sein...
Du darfst jetzt bloß nicht sauer sein,
denn sieh: Ich find dich doof gut!«

----

IX: Darf man über Hitler Witze machen? Ich war mir nicht sicher, daher entschied ich mich für ein unverfänglicheres Thema wie Islamismus. Die Form ist Thomas Gsellas Fabel-Kapitel aus Materialien zu einer Kritik Leonardo DiCaprios entlehnt.

Fabel

Den Storch aus Marburg an der Lahn
warf man vor kurzem aus der Bahn,
nachdem er wild durch diese lief
und laut »Allahu akbar!« rief.
Moral: Man sollte leise sein
und nicht »Allahu akbar!« schrein.

----

X: Die Reizthemen Liebe, Wetter und Reim trafen im September aufeinander, das titellose Ergebnis beeindruckt und macht betroffen.

Wenn du mich liebst, dann sei so gut
und dreh das Jahr zurück, ohja!
Das wär ein großes Glück, ohja!
(Ich finde doch den Mai so gut!)

----

XI: Na ja:

Fußballsonett

»Im Grunde ist das Spiel nach Plan verlaufen.
Wir kamen, glaub ich, ziemlich gut hinein.
Dann stand der Torwart hinten ganz allein,
und vorne warn wir ein zu wilder Haufen.

Sie schenkten uns dann ein paar Tore ein.
Naja. Wir können uns dafür nichts kaufen.
Sie machten alle Räume eng und auf en-
gem Raum tritt man sich selber auf sein Bein.

Wir müssen noch an unsrer Taktik schrauben.
Wir leiden nicht an loser Disziplin.
Doch an den Titel, der schon sicher schien,

darf im Moment der Rest der Liga glauben.
Was solls, ich werd jetzt erstmal duschen gehen.«
Hier könnte eine Ihre? Pointe stehen.

----

XII: Eine sehr kleine Übersetzung aus dem Englischen:

Würdigung (Harry Graham-Übertragung: »Appreciation«)

Tantchen, fühlst du keine Qual
nach dem Sturz vom Apfelbaum?
Fall doch bitte noch einmal,
denn mein Freund hier sah es kaum.

----

XIII: Ursprünglich war für die zweite Hälfte des Dezembers ein umfangreicher zyklischer Jahresrückblick auf diesem Blog geplant. Mit Bestürzung musste ich indessen zur Kenntnis nehmen, dass es dergleichen bereits in ungebundener Sprache, Privatfernsehen und Printerzeugnissen gibt; bisweilen sogar mit noch mehr Expertise!

Jahresrückblick: Wirtschaft

Zu Währungsfragen weiß ich nichts zu schreiben.
Ich hab auch keine Ahnung vom Dow Jones,
kenn keine Konsequenz des Mindestlohns,
und nicht die neusten Trends bei Fensterscheiben*.

Wer weiß, was Immobilienmakler treiben?
Ich nicht, ich hab ein Zimmer und bewohns.
Das reicht. Der ganze Mist kann , ich betons:
Der ganze Mist kann mir gestohlen bleiben.

O Wirtschaft, fürchterliche Unbekannte!
Schriest du auch laut, ich hielt es für Gesumm.
selbst Eilmeldungen, die die SpOn-App sandte,

hab ich stets weggeklickt. Das ist jetzt dumm.
Ich weiß nun also nicht mal, was VW tat,
und hoffe nur, sie stärkten ihren Etat.

*: Q: Wieso Fensterscheiben? A: Weil sich kaum etwas vernünftig auf -eiben reimt. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen